Deutscher Dogmatismus

Es jährt sich mal wieder der Achte Mai, was mich nicht veranlasst, über das Kriegsende, sondern „über ein Geschichtsgefühl“ zu schreiben. Martin Walser, Bernhard Schlink und Günter Grass und die Rezension ihrer jüngsten Werke durch die Kulturkritik liefern dafür die Grundlage.

Martin Walser hinterfragt in seiner Rede zum Friedenspreis die Motivation derjenigen Intellektuellen, die einem ständig die Schuld am Holocaust vorhalten, und reduziert sie (ein wenig spöttisch vielleicht) auf den Drang der Entlastung. Weiterhin merkt er an, dass man eher die Historie zu ignorieren beginne als sie mit ihr auseinander zu setzen, wenn  man sie ständig auf die Nase gebunden bekäme. Schließlich weigert er sich gegen die „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“, gegen Auschwitz als „Moralkeule“, was an den Debatten über militärische Intervention sowie über den Krieg in Israel deutlich wird.

Bernhard Schlink beschreibt in seinem „Vorleser“ einen Nazi-Prozess, der deswegen literarisch spektakulär ist, weil der Protagonist „die Selbstgewissheit moralischer Überlegenheit gegenüber der Vätergeneration“ verliert.

Günter Grass’ jüngst erschienen Roman „Im Krebsgang“ handelt vom Untergang des deutschen Flüchtlingsschiffes „Wilhelm Gustloff“, bei dem ca. 9000 deutsche Zivilisten umkamen.

So viel zu dem, aufgrund dessen sich die Literaturexperten der Tageszeitungen die Mäuler zerreißen. Möge jeder selber entscheiden, ob die Autoren (deren einer ausdrücklich gegen konservativ-reaktionäre Politik eintritt) die Vergangenheit verfälschen (indem sie die deutsche Täter- in eine Opferrolle umdeuten), wenn sie bislang unerwähnte Aspekte in die Diskussion einbringen.

Es soll (auch) hier nicht darum gehen, die Geschichte des Holocaust zu leugnen oder sich „revisionistisch“ zu betätigen. - Vielmehr liegt mir an einem unverkrampftem Umgehen mit der Geschichte. Eine Verspannung sehe ich darin, dass „politische Korrektness“ den maßgeblichen Parameter in der Diskussion über die Geschichte Deutschlands ausmacht. Im Prinzip darf es nur noch Heulen und Zähneklappern geben; alles andere ist unzulässig.

Ich fordere keinen Zuwachs an Nationalismus unter der Begründung, dass andere Länder sich ja auch patriotische Elemente leisteten, obwohl sie historische Mäkel aufzuweisen hätten. Erstens ist die Argumentation blödsinnig und zweitens sollte sich die Debatte meines Erachtens nicht um Nationalismus drehen, sondern um die Identität der „Berliner Republik“ und seiner Bürger.

Mir hängt die kollektive Täterrolle zum Hals raus; sowohl die Generation meiner Großeltern ist nicht voll von Schuldigen als auch ich nicht für den Holocaust verantwortlich bin! (Das klingt logisch, stößt aber bei den Berufsmoralisten auf Unverständnis.) Zwar gehöre ich nicht zu den Verantwortlichen für den Holocaust; doch möchte ich dafür einstehen. Dieser Unterschied zwischen „Verantwortlich-Sein“ und „Verantwortung übernehmen“ beruht auf dem freien Entschluss. Es macht keinen Sinn, unsere Mitbürger in die Täterschaft hineinpressen zu wollen. Statt dessen muss sich jeder unbefangen fragen, ob ihn die ganze Sache tangiert und, wenn ja, welche Konsequenzen er daraus zieht.

Zu viele pseudo-bewusste Intellektuelle unterwerfen sich einem (von ’68 herrührenden?) Antifaschismus, der nicht zu emotional intensiver Auseinandersetzung mit der Ermordung von Millionen Menschen und dem konsequenten Eintreten für die Benachteiligten dieser Welt führt, sondern zu Aufmärschen, bei dem Banner mit der Aufschrift „Kein Freispruch für Deutschland“ getragen werden. Wenn ich die Äußerung von Demonstranten gegen Martin Walser höre, die es „total krass [finden], dass die darüber ganz frei debattieren können“, komme ich mir vor als lebte ich in einer kulturpolitischen Diktatur.

Ich will bewusste Entscheidungen! Denn wenn die Menschheit auch weiterhin nicht von Gewalt und Unrecht abzubringen sein wird, dann wird ein wirklich empfundenes Gerechtigkeits- und Mitgefühl weiter reichen und mehr bewirken denn Antifaschismus als politische Korrektness!

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